
Eine Auftaktveranstaltung zum Tag der Heimat
anlässlich des Gedenkens an „80 Jahre Deportation“
(Hanau) Am Samstag, den 14. August 2021 lud die Sudetendeutsche Landsmannschaft zu einer volksgruppenübergreifenden Auftaktveranstaltung anlässlich des Gedenkens an „80 Jahre Deportation“ ein. Der BdV Kreisverband Hanau-Main-Kinzig e.V. und die DJR – Hessen e.V. begleiteten als Kooperationspartner die Organisation und Durchführung. Gastgeber der Veranstaltung war die Karl-Rehbein-Schule mit inhaltlicher Beteiligung des Lehrpersonals und der Schülerschaft.
Unter dem Titel „Nicht vergessen …“ forcierte die Veranstaltung den Erhalt der Erinnerungskultur und ließ die Sudetendeutsche Landsmannschaft auf die Landsmannschaft der Russlanddeutschen treffen. Somit wurde auf die beiden deutschen Volksgruppen verwiesen, die ein ganz besonders tragisches Schicksal verbindet.
Diverse Vorträge, eine Diskussionsrunde und die Wanderausstellung „Deutsche aus Russland. Geschichte und Gegenwart“ der LmDR e.V. bereiteten die Geschehnisse des katastrophalen Stalinbefehls von 1941 mit seinen Folgen auf.
Bei Veranstaltungsbeginn zeigte Markus Harzer (Landesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft e.V.) in seinen einleitenden Worten die Parallelen zwischen den Landsmannschaften auf, wobei er gleichermaßen die Vielfalt der einzelnen Gruppen betonte, ihre individuellen Geschichten und Entwicklungen. Die Tragik des Datums – 28. August 1941 – habe sich in zahlreichen Schicksalen festgesetzt und sie stelle den Anknüpfungspunkt dar, um den weiteren Weg der Aufarbeitung gemeinsam zu bestreiten.
Grußworte sprach weiterhin StD’n Christine Zander, stellvertretend als Gastgeberin der Karl-Rehbein-Schule. Sie stellte heraus, dass die vorangegangenen Kooperationen mit der DJR – Hessen e.V. und dem BdV e.V. bei der Schülerschaft das Interesse für die Thematiken der Russlanddeutschen geweckten hätten und sie zur Eigeninitiative bei Recherchen motivierten.
Lothar Streck (Vorsitzender des BdV Kreisverband Hanau-Main-Kinzig e.V. ) warf in seinen Grußworten ein Schlaglicht auf historische Momente. Eine nachhaltige Erinnerungskultur kreieren, Freundschaften pflegen und sich aus der Isolation begeben seien u.a. die Aufgaben unserer Zeit.
Bevor die Hauptreferenten die Bühne betraten, richtete Alexandra Dornhof, Bildungsreferentin der DJR – Hessen e.V. und in Vertretung der Geschäftsführerin Albina Nazarenus-Vetter, einige Worte an die Gäste. Es sei wichtig, die Geschichte an die nächsten Generationen weiterzugeben und kulturelle Besonderheiten aufrechtzuerhalten.
Im Hauptteil gab Calvin Zeller (Geschichtsstudent an der Goethe-Universität Frankfurt am Main) einen geschichtlichen Abriss zum Deutsch-Sowjetischen Krieg, zum einschneidenden Tag des 28. August 1941 und ordnete diese in die weltpolitischen Zusammenhänge ein. Er skizzierte die damaligen Lebensumstände der Deutschen in der Sowjet Union, beschrieb den Heimatverlust und die Traumata der Deportation.
Anschließend referierte Max Jungekrüger (Schüler der Karl-Rehbein-Schule) über die russlanddeutsche Identität im Wandel der Zeit und erläuterte die identitätsbildende Entwicklung vor 1941 exemplarisch an den Wolgadeutschen. Die Wahl fiel auf diese, da sich im Herbst 2019 Vertreter der DJR zusammen mit Schülern der Karl-Rehbein-Schule, darunter der Leistungskurs der Q3/4, auf Spurensuche der Wolgadeutschen begeben haben. Jungekrüger schlug den Bogen von der Einladung der Zarin und den Anfängen der Siedlungen über die 1990er-Jahre bis in die Gegenwart. Nach den tragischen Kriegsjahren und der Nachfolgezeit stellte sich die Frage, wie mit solch traumatischen Ereignissen umzugehen sei und was von der Volksidentität noch übrigblieb? Der eine Weg konnte die Aufarbeitung der Vergangenheit sein und die Reformierung der eigenen Identität, der andere das Verschweigen und Verdrängen der Ereignisse. Der zunächst unerfüllte Wunsch nach Rehabilitierung weckte die Sehnsucht, in die alte Heimat zurückzukehren. Doch oft stimmten die Umstände in Deutschland nicht mit den Hoffnungen und Erwartungen in die alte Heimat überein. „Sind das noch Deutsche?“, bekam man zu hören. Die Konfrontation mit der Entwicklung resultierte zunächst in der Problematik der nationalen Zuordnung. Eine Studie mit Russlanddeutschen zur Eigenwahrnehmung zeigte jedoch, dass sie, besonders ab der 2. Generation, für eine Hybrididentität einstehen.
Jungekrüger schloss damit, dass die russlanddeutsche Geschichte sorgfältig aufzuarbeiten und dem kollektiven Geschichts- und Identitätsbewusstein hinzuzufügen sei. Die Identität solle weniger an der Ethnie als viel mehr an geistigen und moralischen Überzeugungen fest gemacht werden.
Die Leitung der offenen Diskussionsrunde übernahm die russlanddeutsche KRS-Schülerin Anastassia Becker. Nach einigen Wortmeldungen zum Begriffsverständnis von „Russlanddeutsche“ erreichte das Gespräch rasch eine emotionale, tiefgreifende Ebene. Diskussionsteilnehmerinnen mit wolgadeutschem Hintergrund berichteten über verschollene Familienmitglieder, über Eltern, die in der Trudarmee Schwerstarbeit leisten mussten. Es wurden biografische Details preisgegeben und mit der Gemeinschaft geteilt.
Markus Rückert, ebenfalls Teilnehmer der Studienreise an die Wolga, erzählte seine Sicht auf die Thematik aus einer Außenperspektive. Er selbst sei kein Russlanddeutscher, fände es aber wichtig, das kulturelle Erbe aufrechtzuerhalten, dieses an die Nachfolgegenerationen weiterzugeben und ein Bewusstsein für die eigenen Wurzeln zu schaffen.
Daran anschließend ergänzte Harzer, dass das Schicksal der Russlanddeutschen flächendeckend Teil der Schulbildung werden müsse. Es müssten Möglichkeiten für Austausch, Kontakt und Dialog geschaffen werden.
Vor der Verabschiedung durch die Veranstaltungsorganisatoren ergriff Dr.-Phil. Eugen Eichelberg das Wort. Er ist Projektleiter der Wanderausstellung „Deutsche aus Russland. Geschichte und Gegenwart“ der LmDR e.V., welche bei der Veranstaltung nach Vortragsende zu besichtigen war. Diese Ausstellung informiert über die deutschen Spätaussiedler aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und ihre Geschichte. Sie zeigt das Schicksal der deutschen Auswanderer nach Russland, ihr Leben in Russland und die Rückkehr der Nachfahren nach Deutschland. Das Ziel der Wanderausstellung ist, die Öffentlichkeit über die Geschichte und Gegenwart der Deutschen aus Russland aufzuklären und somit bestehende Vorurteile über Deutsche aus Russland abzubauen.
Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Rodion Kehlbach.